Drostische Maßnahmen
Und es wird geschehen: Alle Übriggebliebenen von allen Pandemikern, besonders die von der ZEIT, die werden Jahr für Jahr nach Berlin hinaufziehen, um den Professor Drosten anzubeten. Diesmal konnte man es gar nicht erwarten und brach ein bisschen früher auf als im letzten Jahr. Schließlich konnte man ja einen Nobelpreis im Umfeld der mRNA-Impfungen feiern. Was meinen Sie, Herr Professor?
Drosten: Das Argument von der angeblich hastig entwickelten neuen Methode ist nicht zu Ende gedacht. Die Zulassungsstudien waren sehr gründlich. Aber Desinformation findet anscheinend immer einen Weg. Die Bedeutung dieses Problems kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Alle Institutionen der Gesellschaft müssen dagegen ankämpfen. Insofern schätze ich die Entscheidung des Nobelpreiskomitees ganz besonders.
Welche „gründlichen“ Zulassungsstudien meinen Sie? Die, die per Vertrag 75 Jahre unter Verschluss gehalten werden sollten und mühsam nach und nach freigeklagt werden mussten? Die, die als klinischen Endpunkt Infektion gewählt und dann 95% Effektivität gegen Ansteckung behauptet haben? Die, die überhaupt nichts bezüglich Wirksamkeit gegenüber schwerem Verlauf und Tod aussagen konnten, weil die Fallzahl so gering war? Die, die in der Behandlungsgruppe letztlich eine höhere Gesamtsterblichkeit aufwiesen als in der Placebogruppe? Oder die späteren für die „angepassten“ Injektionen, die sich überhaupt nicht für Menschen interessiert haben, sondern etwa Antikörper in acht Mäusen gemessen haben? Nein, die können es nicht gewesen sein. Gut, dass der Herr Professor offenbar die wirklichen Zulassungsstudien kennt. Deswegen hat er auch keine Angst vor Nebenwirkungen, oder?
Drosten: Nein. Ich kenne die Nebenwirkungen gut, sie bewegen sich im Bereich anderer Impfstoffe.
Ja, und wenn ich meine Augen schließe, kannst Du mich nicht sehen. Aber vielleicht überwiegt der Nutzen der Impfung ja den Schaden?
Drosten: Vor zwei Jahren bedeutete eine höhere Übertragbarkeit durch neue Mutationen immer auch, dass mehr Menschen schwer krank wurden. Einfach weil die Immunität gegen schwere Verläufe noch nicht komplett war. Inzwischen haben die allermeisten durch Infektionen eine Immunabwehr aufgebaut, die sich gegen das ganze Virus richtet, nicht nur gegen das Spikeprotein aus dem Impfstoff. Infektionen waren dafür nötig. Was wir aber nicht vergessen dürfen: Hätten sich nicht große Teile der Bevölkerung impfen lassen und damit ihre Krankheitsschwere im Infektionsfall gesenkt, säßen wir wohl noch immer in der Klemme. Unsere Gesellschaft ist einfach zu alt, um dieses Virus ohne Impfung laufen zu lassen.
Solange man davon ausging (nach den Zulassungsstudien, siehe oben), dass die Impfung in der Lage wäre, Infektionen zu verhindern, ergab das Narrativ wenigstens noch Sinn. Wie soll ich mir aber die Wirkungsweise einer Impfung vorstellen, die Ansteckung und Weitergabe nicht verhindert, aber doch schweren Verlauf? Was genau verhindern die nach Impfung gebildeten Antikörper, wenn es nicht die Vermehrung des Virus ist? Bilden sie erst einmal eine Art Verteidigungsring um besonders schützenswerte Körperteile, und wenn dann die echte Infektion kommt, lernen sie auch das Zurückschießen? Gab es vor 2020 jemals eine Impfung, die so funktionieren sollte? Ich würde sagen: Unsere Gesellschaft ist einfach zu doof, um dieses Virus ohne Impfung laufen zu lassen. Vielleicht ist das für mich die überraschendste Erkenntnis aus dieser Pandemie. Und für Sie, Herr Professor?
Drosten: Dass das Präventionsparadox, auf das ich schon zu Beginn der Pandemie hingewiesen hatte, so stark zutrifft.
Aha. Für Deutschland musste das RKI ja ziemlich herumeiern und ein bizarr schlechtes Modell aufstellen, um den Anschein der Wirksamkeit irgendwelcher Maßnahmen zu erzeugen. Aus welchen Quellen schöpfen Sie denn Ihre Weisheit?
Drosten: Jeder findet in der ausufernden Forschungsliteratur Belege für seine Privatmeinung. Aber inzwischen hat auf Initiative der britischen Royal Society eine erste methodisch korrekte Aufarbeitung der Primärliteratur stattgefunden. Die Schlussfolgerungen – was hat gewirkt und was nicht – sind jetzt für diese schwerste Phase der Pandemie 2020/21 klarer. Dennoch haben sie es bisher kaum in die Medien geschafft. […] Es handelt sich um sechs komplexe Arbeiten mit vielen Anhängen. Ich kann hier nur ein paar Dinge oberflächlich benennen. Versammlungs- und Ausgangsbeschränkungen, Abstandsregeln und Masken zum Beispiel waren sehr effektiv. Je besser die Masken sind, desto mehr haben sie gewirkt, besonders die FFP2-Masken und besonders wenn sie für alle verpflichtend waren. […]
Vielen Dank für Ihre Einschätzung: eine „erste methodisch korrekte Aufarbeitung“ – da sieht man doch gleich, dass Sie hier die Koryphäe sind (und dass Ihnen die Schlussfolgerung des Cochrane-Reports oder anderer Arbeiten nicht gefällt). Und Sie können „hier nur ein paar Dinge oberflächlich benennen“ – da sieht man doch gleich, wie vielbeschäftigt Sie sind. Beschränken wir uns einfach mal auf die Masken. Die waren „sehr effektiv“ – und sogar noch besser, wenn FFP2 und verpflichtend. Als Übersetzung der Schlussfolgerung aus der Studie würde ich das schon mal nicht durchgehen lassen:
Most of the studies included in this rapid systematic review were observational rather than experimental. Study designs commonly suffered from a critical ROB (“risk of bias”). The effects measured in each study were variable in magnitude and generally of low precision. Nevertheless, taking together the evidence from all studies, we conclude that wearing masks, wearing higher quality masks (respirators), and mask mandates generally reduced the transmission of SARS-CoV-2 infection.
Die von der Royal Society beauftragten Wissenschaftler sind nicht blöd. Sie wissen genau, was das gewünschte Ergebnis ist, und balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Auftragserfüllung und Realität. Die in der Metaanalyse berücksichtigten Studien sind schon lange bekannt. Die beiden in der Analyse bezüglich Infektion als RCT klassifizierten Studien sind die geradezu bizarre „Bangladesch-Studie“ (Dorfälteste bekommen Geld, wenn sie in ihrem Dorf auf Maskentragen hinarbeiten, und haben klare Anreize, symptomatische Fälle bei Maskierten nicht zu melden) und die „Dänemark-Studie“, die selbst keine signifikante Wirkung von Masken feststellt. Hier das abschließende Fazit der Autoren zum Thema Infektion:
In summary, the great majority of studies found that masks (n = 39/47; 83%) reduced transmission, although the magnitude of measured effects was variable and the quality (precision and ROB) of evidence in both community and healthcare settings was low.
Beim Effekt von FFP2- bzw. N95-Masken wird es noch wackliger:
In summary, where significant effects were reported, they favoured wearing higher quality rather than lower quality masks. However, the majority of studies suffered from a critical ROB in at least one domain, and effects were uncertain in magnitude and variable between studies.
Ebenso beim Thema Maskenpflicht – wobei mir hier nicht einmal klar ist, wie der Vergleich erfolgte. Solche Studien können nur dort durchgeführt worden sein, wo lokale Maskenpflichten bestanden, also beispielsweise nicht in Deutschland:
In summary, the majority of included studies found that mask mandates reduced transmission of SARS-CoV-2, albeit with effects of variable magnitude and low precision. The quality of the evidence supporting mask mandates was low based on ROB assessments and heterogeneity in study designs.
Es wird von den Autoren korrekt darauf hingewiesen, dass fast alle Studien einen Zeitraum vor dem Aufkommen der „hoch übertragbaren“ Omikron-Variante abdecken. Aber warum sollte das einen Unterschied bezüglich der Effektivität von Masken darstellen? Das Virus hat sich hinsichtlich seiner Eigenschaften geändert, aber doch nicht hinsichtlich seiner Größe und seinem Verhalten außerhalb des menschlichen Körpers. Aber das Stichwort Omikron lässt mich doch noch einmal genüsslich die Historie der Maskenpflichten in Deutschland gegen die Inzidenz stellen:
Ich schätze mal, dass weit über 90% der registrierten Infektionen zu Zeiten der verschärften Maskenpflicht auftraten und bestimmt drei Viertel zu Zeiten der FFP2-Maskenpflicht. Nein, Herr Professor, da hilft Ihnen auch das Präventionsparadox nicht weiter. Sie sind armselig: Sie wollen keine Maske mehr tragen, aber „falls noch mal eine Maskenpflicht käme, wären Sie natürlich dabei.“ Und sie wollen sich nicht mehr impfen lassen, weil „für Ihre Altersgruppe keine Stiko-Empfehlung zur Impfung besteht.“ Mir wäre es ja noch egal, wenn Sie in Ihrem Labor nicht am Mers-Virus arbeiten würden…