Vor einem Monat hat das Reuters Institute der Universität Oxford eine Studie über das Publikum öffentlich-rechtlicher Fernsehsender in Europa veröffentlicht. Insbesondere die tatsächlichen und vermeintlichen Aussagen zur politischen Orientierung dieses Publikums haben Kreise gezogen. Warum?
Nun, das Hauptproblem besteht darin, dass Daten auf eine Art grafisch dargestellt wurden, die nach Fehlinterpretation schreit. Man studiere dazu den Abschnitt zu Deutschland in Abbildung 7. Drei gefüllte Kreise, die für drei Sender stehen (wobei ARD und ZDF zusammengefasst werden), sind zu sehen; deren Flächeninhalt ist zunächst einmal proportional zum Cross-Platform Reach der Sender (69%, 31%, 26%), so wie es sein soll. Aber warum werden überhaupt Kreise verwendet, wenn an anderer Stelle (z.B. in Abbildung 1) ganz ähnliche Informationen in anderer Form, nämlich als Balkengrafik, präsentiert wurden? Es soll parallel eine zweite Größe dargestellt werden, nämlich die durchschnittliche politische Orientierung des Publikums je Sender. Hierzu werden die Kreise auf einer waagrechten Linie nach links oder rechts verschoben. Man kann erkennen, dass sich die Zuschauer von ARD und ZDF im Durchschnitt (!) in etwa so weit links von der Mitte einordnen wie die Zuschauer von RTL rechts von der Mitte, und dass die Zuschauer von n-tv im Durchschnitt noch etwas weiter rechts orientiert sind als die Zuschauer von RTL. Das war's. Nun baue ich mal eine nette, aber bestimmt nicht abschließende Liste möglicher Fehlinterpretationen (die NZZ hatte sich auch eine davon ausgesucht):
Wie wir es in der Schule gelernt haben, stehen die Kreise für Mengen
Alle Zuschauer von (beispielsweise) RTL befinden sich im RTL-Kreis
Der ARD- und ZDF-Kreis liegt fast komplett links von der "Mittelachse"; also erreichen ARD und ZDF praktisch ausschließlich ein linkes Publikum
Zwischen dem Publikum von ARD und ZDF und dem Publikum von RTL gibt es keine Schnittmenge
Die Vereinigungsmenge der Kreise ist der gemeinsame Cross-Platform Reach der Sender
Na schön; dämliche Grafiken sind alltäglich (und leider zu leicht zu produzieren; die abschreckenden Beispiele beispielsweise in Tuftes Standardwerk waren wenigstens noch mit viel Mühe verbunden). Wenn sie denn wenigstens ignoriert würden! Aber nein: Alexander Gauland fühlt sich bestätigt: "ARD und ZDF [...] erreichen nur noch einen Bruchteil der Menschen und bedienen mit ihrer tendenziösen Berichterstattung mehrheitlich das linke Spektrum." Was ist eigentlich ein Bruchteil? Mathematisch sicher jede rationale Zahl im Intervall (0,1), aber umgangssprachlich? Hat man nicht eher die Vorstellung, dass etwas abbricht, das meiste aber noch übrig bleibt? Demnach sollte ein Bruchteil kleiner als 50% sein, was beispielsweise für den Cross-Platform Reach von ARD und ZDF (69%, siehe oben) nicht der Fall ist. Über tendenziöse Berichterstattung sagt die Studie auch nichts, das ist wohl eher die Beimischung einer Meinung. Aber warum sollte ich AfD-Pressemeldungen kommentieren? Dafür haben wir doch die ZEIT! "Hat Gauland also recht? Nein. Zwar schauen und hören Linke öfter ARD, ZDF und Deutschlandfunk als Rechte. Aber dass die drei Rundfunkanstalten nur einen "Bruchteil" der Bürger erreichen, stimmt nicht – im Gegenteil, wie ein näherer Blick auf die Daten zeigt. Denn der Anteil derjenigen, die sich weit rechts oder rechts außen verortet, liegt nur bei 6,5 Prozent. Mit anderen Worten: Es gibt eine Gruppe weit rechts, die öffentlich-rechtliche Medien weniger nutzt und ihnen auch weniger glaubt, doch die ist klein." Was soll denn das nun wieder? Den genannten Wert von 6,5% kann ich der Studie nicht entnehmen (vielleicht liegen der ZEIT ja die Daten vor) - aber er hat mit der Frage auch gar nichts zu tun. Nicht jeder, der sich weit rechts oder rechts außen verortet, wird von ARD und ZDF nicht erreicht; und nicht jeder, der von ARD und ZDF nicht erreicht wird, verortet sich weit rechts oder rechts außen. Oder in Zahlen: die 69% Cross-Platform Reach und die 6,5% haben sicher eine Schnittmenge, und selbst wenn das nicht so wäre, ist 69% + 6,5% noch lange nicht 100%. Und damit zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.