Uns geht es so gut, dass wir unsere Zeit damit verbringen können, Themen von Metaebene zu Metaebene zu wuchten, bis mit praktisch der gleichen Argumentationsweise eine Aussage und ihr Gegenteil gestützt werden können.
Zwei Ereignisse trugen sich jüngst zu:
A: in Amberg hat eine Gruppe von jungen Männern Menschen angegriffen und verletzt.
B: in Bottrop hat ein Mann sein Auto absichtlich in Gruppen von Menschen gesteuert und Menschen verletzt.
Über der Ebene des Geschehens (1) liegt die Ebene des Berichts (2 - diese habe ich eben kurz betreten). Darüber wiederum befindet sich die Ebene der Bewertung und Schlussfolgerung (3). Schließlich wird auf der Ebene der Kommentierung (4) die Bewertung und Schlussfolgerung anderer selbst wieder bewertet. Ich werde nun auf eine fünfte Ebene klettern und ins Tal schauen.
Hadmut Danisch kommentiert in seinem Blog auf Ebene 4, wie das ZDF über A und B berichtet. Seine Schlussfolgerung: "In einem Fall (B) wird die Tat hochgedonnert, im anderen Fall (A) die Reaktionen herabgedrückt." Ich versuche mal eine Interpretation: das ZDF sollte auf Ebene 2 bleiben, konnte aber nicht dem Sprung auf Ebene 3 widerstehen. Danisch glaubt, das ZDF glaube und sage, B sei schlimmer als A.
Andreas Borcholte kommentiert bei Spiegel Online auf Ebene 4, wie Innenminister Horst Seehofer auf Ebene 3 über A und B urteilt. Seine (d.h. Borcholtes) Schlussfolgerung: Seehofer bemühe einen "eher marginalen Vorfall (A), um das neue Jahr gleich mit einer durch Betroffenheit kaum übertünchten politischen Offensive zu beginnen", was "nicht nur erbärmlich, sondern gesellschaftlich brisant ist. Denn es ist zugleich Symptom und Ursache eines Diskurses, der sich in den vergangenen Jahren in Deutschland gefährlich nach rechts verschoben hat." Hingegen werde der "offenbar rassistisch motivierte Terrorakt" B "kleingeredet", was letztlich dazu führe, dass sich "rechte Kräfte legitimiert fühlten, ihren dumpfen Gedanken und Hassfantasien auch Taten folgen zu lassen" und "den Wahn rechtsradikaler Einzeltäter oder Gruppen noch verstärken dürfte, sich als ausführende Organe einer schweigenden Mehrheit zu begreifen." Und wieder meine Interpretation: Borcholte glaubt, Seehofer glaube und sage, A sei schlimmer als B.
Ein wunderbares intellektuelles Spielchen. Hoffentlich geht es uns noch lange so gut wie jetzt.
Anmerkung vom 08.11.2022: So gut geht es uns nun tatsächlich nicht mehr…