Auf change.org wurde eine Petition gestartet, die direkt mit meiner Heimatstadt zu tun hat. Ich werden sie im Folgenden in Gänze wiedergeben und kommentieren.
"Aufruf für Demokratie, Solidarität und Freiheit:
Seit einiger Zeit finden auch in Idstein sogenannte „Spaziergänge“ gegen Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemie statt. Aufgrund der Berichterstattung könnte man den Eindruck gewinnen, viele Menschen in Deutschland stünden nicht hinter dem staatlichen Pandemiemanagement. Das Gegenteil ist der Fall: Die Mehrheit der Bevölkerung hält sich an die staatlichen Regelungen zur Bekämpfung der Pandemie!"
Ich weiß nicht, auf welche Berichterstattung hier angespielt wird, aber der Logikbus fährt schon mal im ersten Absatz gegen die Wand. Ich kann sehr wohl nicht hinter dem staatlichen Pandemiemanagement stehen, mich aber trotzdem an die staatlichen Regelungen halten. Wenn ich einkaufen gehe, setze ich eine Maske auf, obwohl es eine praktisch sinnlose Maßnahme ist. Soll ich dem Marktpersonal unnötige Schwierigkeiten machen? Und wenn es mein Impfstatus nicht erlaubt, gehe ich nicht ins Restaurant. Was soll ich auch sonst tun? Die Einlasskontrolle und den Rest des Personals überwältigen und mir dann selbst etwas kochen? Und selbst wenn sich 51% der Bevölkerung (also die Mehrheit) an die staatlichen Regelungen halten würden und die restlichen 49% nicht hinter dem staatlichen Pandemiemanagement stehen würden, so wären das sicherlich viele Menschen.
"Weil sich aber immer noch zu wenige Menschen impfen lassen,
- leiden Kinder in den Schulen weiter darunter, nicht unbeschwert lernen oder in den Pausen miteinander spielen zu können;
- arbeiten Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern und Altenheimen seitdem am Limit;
- können immer wieder Menschen mit anderen, schweren Erkrankungen in den Krankenhäusern nur bedingt versorgt werden;
- fürchten insbesondere Gastronomen, Einzelhandelsgeschäfte und andere Unternehmen um ihre Existenz;
- müssen wir alle mit Einschränkungen unserer Freiheit leben und
nehmen diese Menschen nicht zuletzt in Kauf, dass weiter Menschen an diesem Virus sterben."
Ja, Kinder leiden in den Schulen weiter darunter, nicht unbeschwert lernen oder in den Pausen miteinander spielen zu können, weil Maskenpflicht, Abstandsregeln und sonstige Schikanen dies verhindern.
Ja, Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern und Altenheimen arbeiten am Limit, und Menschen mit anderen, schweren Erkrankungen können immer wieder in den Krankenhäusern nur bedingt versorgt werden, weil das Gesundheitssystem seit dreißig Jahren auf Profit getrimmt wurde und Belastungsspitzen (auch beispielsweise aus Grippewellen) nicht mehr abdecken kann.
Ja, Gastronomen, Einzelhandelsgeschäfte und andere Unternehmen fürchten um ihre Existenz, weil ihnen die Kundschaft weggenommen wurde.
Ja, wir müssen alle mit Einschränkungen unserer Freiheit leben, seit und weil uns diese Freiheit weggenommen wurde.
Nur hat das alles nichts damit zu tun, dass sich „immer noch zu wenige Menschen impfen lassen“. Ja, im besten Fall scheint die „Impfung“ für eine gewisse Zeit die Wahrscheinlichkeit für einen „schweren Verlauf“ zu reduzieren. Leider ist die „gewisse Zeit“ sehr kurz; die Impfung befördert vermutlich sogar die Ausbreitung des Virus, und im zweiten Halbjahr 2021 könnten mehr Menschen an den Folgen einer Impfung verstorben sein als am Virus. Im Sommer 2022, wenn die Sterbefälle des Jahres 2021 ausgewertet werden, werden wir hoffentlich Gewissheit erlangen.
"Es kann nicht akzeptiert werden, dass die Anstrengungen zur Eindämmung des Coronavirus durch das Handeln einiger weniger schlecht geredet werden. Wir haben das große Glück in einer freien, friedlichen und demokratischen Gesellschaft zu leben. Die Parolen einer lautstarken Minderheit, dass unser Staat wie eine menschenverachtende Diktatur handeln würde, sind absurd und verhöhnen alle Opfer von Diktaturen, in der Vergangenheit und heute. Unsere grundgesetzlich garantierte individuelle Freiheit schließt die Verantwortung für das Wohl unserer Mitmenschen ein. Nur so kann respektvolles Miteinander gelebt und geregelt werden."
Vielleicht sind die Anstrengungen ja genau das, nämlich nur anstrengend, aber wirkungslos. Vielleicht werden sie ja nicht schlecht geredet, sondern sind schlecht!
Wieso leben wir in einer freien Gesellschaft? Wurde nicht weiter oben gesagt, dass wir alle mit Einschränkungen unserer Freiheit leben müssen? Individuelle Freiheit schließt die Verantwortung für das Wohl unserer Mitmenschen nicht ein, sondern dies sind zwei zunächst unabhängige, hohe Güter, die gegeneinander abgewogen werden müssen.
Vielleicht handelt unser Staat noch nicht wie eine menschenverachtende Diktatur, aber wie sollen wir denn sonst verhindern, dass es dazu kommt? Wenn sich Vergleiche mit anderen Diktaturen, die ja alle einmal klein angefangen haben, verbieten, welches Instrument steht dann noch zur Verfügung? Wie kann zwischen einer Noch-Demokratie und einer Schon-Diktatur unterschieden werden? Wenn wir an das Management der Pandemie dieselben Maßstäbe angelegt hätten, hätten wir die Bezeichnungen „delta“ und „omikron“ erst zu dem Zeitpunkt gelernt, als diese Varianten bereits dominierten; und wir hätten positive PCR-Tests mit einem ct-Wert weit jenseits der 30 nicht als Infektionen bezeichnet.
"Das Versammlungsrecht ist ein wesentliches Grundrecht in unserer Demokratie. Es folgt bestimmten Spielregeln. Wer diese missachtet, ohne rechtliche Grundlage und ohne Verantwortliche anzugeben, tritt dieses Grundrecht mit Füßen. Diese „Spaziergänge“ sind fragwürdig, weil sie durch rechtsextreme Gruppierungen in Szene gesetzt werden, um staatliche Auflagen zu umgehen. Sie nutzen die Pandemie als Vorwand, die Gesellschaft zu spalten und die Demokratie zu beschädigen."
Zunächst einmal haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zwar beschränkt werden, aber was, wenn genau diese Möglichkeit der Einschränkung durch den Staat missbraucht wird? Die Teilnahme von Gruppen, die uns nicht gefallen, kann letztlich nicht verhindert werden. Der beste Schutz gegen übermäßige Einflussnahme dieser Gruppen ist eine ausgeweitete Teilnahme der Mitte der Gesellschaft.
"Die Bekämpfung der Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie kann nur gemeinsam bewältigt werden. Wir vertrauen auf die Empfehlungen der Wissenschaft, um größeren Schaden von allen abzuwenden und das bedeutet: Der Weg aus der Pandemie geht vor allem über eine flächendeckende Impfung."
Ja, die Bekämpfung der Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ja, sie kann nur gemeinsam bewältigt werden. Nein, die flächendeckende Impfung ist bereits dabei, mehr Schaden als Nutzen zu stiften. Nein, es gibt nicht „die“ Wissenschaft; und Empfehlungen kann man nicht vertrauen, sondern nur folgen oder eben nicht.
"Wir rufen deshalb alle Idsteiner Bürgerinnen und Bürger auf:
– Seid solidarisch mit euren Mitmenschen und lasst Euch impfen!
– Lasst Euch nicht instrumentalisieren! Macht Euch nicht gemein mit Demokratiefeinden, die unseren Staat als Diktatur verunglimpfen.
Dann werden wir gemeinsam diese Krise bewältigen."
Dann rufe ich mal zurück:
Impfung (und "Impfung") ist kein Akt der Solidarität, sondern eine persönliche Entscheidung, bei der Nutzen und Schaden gegeneinander abgewogen werden müssen. Wenn Ihr zu der Entscheidung gelangt, dass eine Impfung das Beste für Euch ist, dass lasst Euch impfen – und zwar beim Arzt Eures Vertrauens, der Eure Vorerkrankungen kennt und sich Zeit für die Beratung nimmt.
Lasst Euch nicht einschüchtern! Achtet sorgfältig darauf, ob „unser“ Staat Symptome einer Diktatur zeigt und weist darauf hin. Seid Diktaturfeinde!
Die Petition wurde überschrieben als „Aufruf für Demokratie, Solidarität und Freiheit“. Demokratie wurde mit blindem Vertrauen in „unseren Staat“ gleichgesetzt, Solidarität mit blindem Vertrauen in „die Wissenschaft“ und Freiheit mit Konformität. Ich zweifle nicht daran, dass viele Mitmenschen, die die Petition unterzeichnen, dies in bester Absicht, im guten Glauben und voller Hoffnung tun; aber besten Dank, ich bin raus.