Nun, da sich der Weihnachtsfriede über das Statistische Bundesamt gelegt hat und in dieser Woche keine Sonderauswertung zu den Sterbefallzahlen veröffentlicht wird, ist ein guter Zeitpunkt, um über die letzte Sonderauswertung vom 21.12.2021 nachzudenken. Erstmals wurde darin die Übersterblichkeit im Herbst 2021 kommentiert:
"Die Zahl der Covid-19-Todesfälle steigt dabei seit Anfang Oktober von Woche zu Woche, erklärt bislang aber nur etwa ein Drittel bis die Hälfte der Sterbefälle, die über den mittleren Wert der Vorjahre hinausgehen. Für den dadurch nicht erklärbaren Anstieg der Sterbefallzahlen sind mehrere Ursachen denkbar: So können hier unerkannte COVID-19-Todesfälle oder die zeitliche Verschiebung von Sterbefällen innerhalb eines Jahres infolge der zum Jahresbeginn ausgefallenen Grippewelle eine Rolle spielen (sogenanntes "mortality displacement"). Möglicherweise zeigen sich auch die Folgen verschobener Operationen und Vorsorgeuntersuchungen. Der Beitrag einzelner Effekte lässt sich allerdings derzeit nicht beziffern."
Über welche Größenordnung reden wir? Betrachten wir beispielsweise die Kalenderwochen 41 bis 49:
Median der Jahre 2016 bis 2019: 157.293 Sterbefälle (2016: 158.974; 2017: 155.612; 2018: 153.992; 2019: 160.310)
Jahr 2020: 181.655 Sterbefälle
Jahr 2020 ohne offizielle Corona-Tote: 162.239 Sterbefälle
Jahr 2021: 191.072 Sterbefälle
Jahr 2021 ohne offizielle Corona-Tote: 177.573 Sterbefälle
Die beiden letzten Zahlen könnten sich noch leicht ändern, da Sterbefälle unter Umständen verspätet gemeldet und klassifiziert werden. Fest steht aber: die Übersterblichkeit im Jahr 2020 kann durch Corona befriedigend erklärt werden; der verbleibende Anstieg gegenüber dem Median der Vorjahre spiegelt die Verschiebung der Alterspyramide wider.
Für das Jahr 2021 haben wir es nun aber (bezogen auf den Median der Jahre 2016 bis 2019) mit einer Übersterblichkeit von etwa 33.000 Fällen zu tun, von denen nur 13.000 auf Corona zurückgeführt werden, aber 20.000 unerklärt bleiben. Was ist von den durch das Statistische Bundesamt angebotenen Erklärungen zu halten?
Unerkannte Corona-Todesfälle: Im Ernst? Ich gehe eher davon aus, dass die Erfassung von Corona-Toten fast schon zu vollständig ist (was ist beispielsweise die Todesursache im Fall mehrerer Vorerkrankungen?). Weiterhin würde das bedeuten, dass Prozesse, die im Jahr 2020 noch funktioniert haben, dies im Jahr 2021 nicht mehr tun. Und schließlich gilt: entweder können auf diese Weise nur wenige Fälle erklärt werden, oder die Impfungen sind unwirksam.
Mortality displacement: Im Ernst? Der Effekt eines "mortality displacement" (Größenordnung: 5.000 bis 10.000) kann in den Jahren 2017 und 2018 beobachtet werden, in denen es jeweils schwere Influenza-Wellen im Frühjahr gab. Nach etwa 80.000 Corona-Toten im Winter 2020/2021 mit einem möglichen "mortality displacement" im Herbst 2021 aufzuwarten, ist schon niedlich.
Folgen verschobener Operationen und Vorsorgeuntersuchungen: Im Ernst? Wie groß soll dieser Effekt denn sein? Warum ist er nur im Jahr 2021 zu beobachten, aber nicht im Jahr 2020? Warum erst jetzt im Herbst? Haben wir Krebssaison?
Wie lange können wir die Elefanten im Raum noch ignorieren? "There are more elephants in the room than there is space. These are not subtle buggers at all. They’re not hiding behind the sofa - there’s at least 20 of them sitting on the thing, drinking tea and smoking weed, whilst discussing the finer points of Wittgenstein." So langsam eröffnet nicht nur das Statistische Bundesamt die Diskussion. Hoffen wir, dass die sich der Phase der Verdrängung anschließende Phase des Zorns nicht zu lange dauert.