Auswertende und Aufwachende
Der durchschnittliche Rentner erhält seine Informationen aus der Apotheken-Umschau, und der durchschnittliche Arzt erhält die seinen aus dem Deutschen Ärzteblatt. Was in diesen beiden Publikationen gedruckt wird, wird massiv das Denken und Verhalten vieler Menschen beeinflussen.
Natürlich ist SARS-CoV-2 ein Dauerbrenner, beispielsweise in einer Kurzmitteilung in der Ausgabe 9/2023 zu SARS-CoV-2 in Altenpflegeheimen, die wir uns genauer ansehen wollen.
Das Manuskript wurde am 09.09.2022 eingereicht, und die revidierte Fassung wurde am 22.11.2022 angenommen. Ich verwette meinen Patriarchatsmitgliedsausweis darauf, dass eine Hauptaufgabe bei der Revision das gepflegte Durchgendern war. Im ersten Absatz spricht man noch wohlgemut von den Bewohner/innen, um dann auf die Bewohnenden (oder gar die Bewohnenenden…) oder auch Altenpflegeheimbewohnenden (und auch hier gibt es die Altenpflegeheimbewohnenenden…) umzuschwenken. Nicht zu vergessen die Mitarbeitenden, die Besuchenden und die Pflegenden!
Aber genug davon (auch wenn es mich wirklich stört, wenn man in ein- und derselben Tabelle einmal von Bewohner/innen und einmal von Bewohnenden spricht – um Klarheit und Verständlichkeit geht es hier wohl eher nicht). Vielleicht verbirgt sich ja unter der angebrannten kulturellen Kruste ein genießbarer Datenkuchen.
Die Grundidee ist wirklich nicht schlecht. Die detaillierte Beobachtung einer Gruppe von Altenpflegeheimen, vermutlich mit so konsequentem Testen, dass keine Infektion unbemerkt bleibt, sollte einen brauchbaren Datensatz liefern, der nicht durch Untererfassung verfälscht wird. In der Praxis krankt es dann aber an der Schlampigkeit. Laut Ergebnistabelle wurden insgesamt 366 Fälle (davon 145 ungeimpft) registriert:
Das einzige weitere Nicht-Textelement ist diese Grafik:
Leider summieren sich die Fallzahlen in der Grafik nur auf 347 (davon 132 ungeimpft). Ja, das Nachzählen war ein wenig anstrengend. Die Beschriftung der horizontalen Achse ist zudem unbrauchbar. Mir ist schleierhaft, an welchen Stellen die 19 Fälle verloren gingen.
Angesichts der Verteilung der Fälle im Jahr 2021 ist die Kategorisierung nach Jahren in der Tabelle unsinnig. Zum Vergleich hier die zeitliche Entwicklung der Verteilung der Varianten in Deutschland, basierend auf RKI-Daten:
Die Fälle in den ersten Kalenderwochen des Jahres 2021 waren mit hoher Wahrscheinlichkeit noch keine Alpha-Fälle. Zwischen ungefähr KW 4 und KW 44 (wie gesagt, so genau kann man das anhand der Grafik nicht bestimmen) wurden überhaupt keine Infektionen registriert. Die Fälle gegen Ende des Jahres 2021 dürften durchaus Delta-Fälle gewesen sein. Im Bild fügen sie sich aber in die Fälle des Jahres 2022 gut ein. Eine sinnvollere Aufteilung wäre daher diejenige in ein „Vor-Impf-Regime“ (2020 und Anfang 2021) und ein „Impf-Regime“ (Ende 2021 und 2022) gewesen.
Welche Erkenntnisse kann man nun aus der Tabelle ziehen? Die Gesamtbetrachtung 2020-2022 kann man sich schenken, da hier völlig unterschiedliche Regime in einen Topf geworfen werden. Die 2021er-Spalte ist, wie oben ausgeführt, für sich genommen ebenfalls kaum zu gebrauchen.
Es bleibt die Erkenntnis, dass SARS-Cov-2 im Jahr 2020 offenbar durchaus ein Problem war – wobei natürlich unklar ist, ob die Todesfälle nach heutigem Stand alle unvermeidlich waren.
Für das Jahr 2022 machen die geimpften Fälle 198 / 230 = 86% aus – was ziemlich genau der offiziellen „Grundimmunisierungs-Quote“ für Über-60-Jährige in Hessen zu Anfang des Jahres 2022 entspricht. Bei der Hospitalisierung sieht es mit 16 / 19 = 84% nicht besser aus. Die Todesfälle waren gar alle geboostert. Es fällt mir schwer, von einem Placebo zu sprechen, denn dann würde man ja wenigstens noch einen Placebo-Effekt erwarten.
Den Autoren (oder muss ich Autorenden sagen?) der Studie ist immerhin auch nicht ganz wohl bei der Sache (auch wenn sie das in zaghafter Pseudostatistiksprache ausdrücken: „nicht mehr statistisch signifikant“ im Vergleich zur Gesamtbetrachtung). Sie beschließen den Artikel wie folgt:
Vor diesem Hintergrund sollten – bei Beachtung einer guten Basishygiene nach Vorgabe der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) und der STIKO-Impfempfehlungen – Schutzmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit geprüft und auf ein ethisch vertretbares Maß begrenzt werden, welches sowohl der Selbstbestimmung der Bewohnenden als auch dem notwendigen Schutz der Pflegenden Rechnung trägt.
Wenn man die ritualisierte Beschwörung akronymisierter Autoritäten (KRINKO! STIKO!) ignoriert, die vermutlich Voraussetzung für die Veröffentlichung war, dann tauchen endlich wieder eigentliche Selbstverständlichkeiten wie „ein ethisch vertretbares Maß“ und „Selbstbestimmung“ auf. Die plötzliche Nennung des Schutzes der Pflegenden ist hingegen ein wenig seltsam – und vielleicht der Zielgruppe der Zeitschrift geschuldet. Drei der vier Autoren sind jedenfalls Geschäftsführer von Altenpflegeheimen, die sich an der Studie beteiligt haben. Der Wahnsinn der Pandemie dürfte sie daher unmittelbar betroffen, und betroffen gemacht, haben.