Im Hause des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks sind viele Wohnungen. Auch bei den Quarks ("Gemacht mit Herz, Hirn und unserem Rundfunkbeitrag") konnte noch ein Untermieter einziehen - die selbsternannten Science Cops. Ihre Aufgabe ist es, "wissenschaftlichen Unfug aufzudecken und richtigzustellen". Manche Einsätze werden in verkürzter Form auf YouTube dokumentiert, wie etwa einer vom 05.12.2020 zum Thema "Das System der Corona Verharmloser: Warum so viele ihnen glauben". Hier ein von mir liebevoll transkribierter Auszug:
"Sucharit Bhakdi, früher mal Professor für Mikrobiologie an der Uni Mainz, drückt es so aus: die Aussage ist, dass die Gefährlichkeit vergleichbar ist mit der Grippe, Punkt. Also packen wir das mal. Wenn es um die Gefahr von Infektionskrankheiten geht, dann schauen viele vor allem auf die Sterblichkeit, genauer gesagt, auf die Infektionssterblichkeitsrate, kurz IFR, die zeigt, wie viele der Menschen, die sich mit einem Krankheitserreger angesteckt haben, am Ende auch daran sterben. Bei der saisonalen Grippe, also der Influenza, liegt diese Infektionssterblichkeitsrate zwischen 0,1 und 0,2. Das heißt, von 1000 Infizierten sterben ein bis zwei Menschen, je nachdem wie schwer die Grippesaison verläuft. Ganz exakt kann man diese Zahlen nicht angeben, das sind oft eher Schätzungen, auch weil auf die Influenza nicht eigentlich getestet wird. Und wie ist das jetzt bei Corona? Naja, da wird die Sache schon etwas schwierig. Aber man braucht auf der einen Seite die Todeszahlen, die sind noch recht einfach zu bekommen. Man muss aber auch wissen, wie viele Menschen wirklich infiziert sind, und da man von einer relativ hohen Dunkelziffer ausgeht, ja, da sind die Zahlen relativ unsicher. Also macht man sogenannte Antikörperstudien, um herauszufinden, wieviele Menschen in einer Region wirklich infiziert waren. Damit kann man dann die Sterblichkeitsrate berechnen. Und wie hoch ist die jetzt? Das kommt darauf an, in welche Studie man reinschaut. Bhakdi und Co nehmen dafür gerne eine Studie von John Ioannidis. Der ist Professor an der Uni Stanford und hat für die WHO eine Studie gemacht, eine Metaanalyse, bei der er verschiedene solcher Antikörperstudien aus der ganzen Welt miteinander verglichen hat. Er kommt auf einen durchschnittlichen Wert für die IFR von 0,27 Prozent. Da könnte man sagen: so weit ist das gar nicht von der Grippe entfernt. Kleines Problem bei dieser Studie: in der Wissenschaftscommunity wurde sie ziemlich kritisiert, oder besser gesagt ziemlich zerrissen. Wir haben Euch eine sehr gute Kritik der Ioannidis-Studie von Volksverpetzer verlinkt. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Fehlern in dieser Studie: Daten wurden falsch übernommen, Studien schlechter Qualität wurden in die Metaanalyse mit einbezogen und andere Untersuchungen einfach komplett ignoriert. Auch in den Berechnungen wurden einige Fehler gemacht, und auf diese Art und Weise kommt am Ende dieser niedrige Wert von 0,27 Prozent raus. Es gibt inzwischen aber deutlich bessere Metaanalysen zur Sterblichkeitsrate, und die kommen auf ganz andere Werte. Je nachdem, wie die Altersverteilung in einer Bevölkerung ist, schwankt die Sterblichkeit zwischen 0,23 Prozent für ein Land mit einer eher jüngeren Bevölkerung bis hin zu 1,15 Prozent für ein Land mit einer eher älteren Bevölkerung. Denn man weiß ja: an Covid 19 sterben eher die Älteren. Für Deutschland kommt man so auf einen Wert von ungefähr 0,8 bis 1 Prozent. Ja, und das ist deutlich höher als bei der Grippe."
Wenn die Aufgabe eines Wissenschaftlers die Suche nach Wahrheit ist, dann muss die Aufgabe eines Wissenschaftsjournalisten wohl eine andere sein. Der Wissenschaftler könnte das Problem wie folgt definieren:
Wie lassen sich die IFR von Influenza und Corona schätzen?
Als Funktion welcher Größen sollte die IFR jeweils angegeben werden?
Wie groß ist die Unsicherheit um die jeweiligen Schätzungen?
Lassen sich die Ergebnisse für beide IFR vergleichen?
Wann und in welchem Sinne wären die IFR als "gleich" anzusehen?
Der Wissenschaftsjournalist hingegen fragt sich:
Influenza ignorieren wir in der Regel fast vollständig (abgesehen von Impfprogrammen). Corona hingegen treibt die Gesellschaft an den Rand des Wahnsinns. Da kann es doch nicht sein, dass die IFR "gleich" ist, oder?
Wissenschaft selbst kann ich nicht, aber Rhetorik müsste doch auch reichen, oder?
Wäre es nicht cool, wenn wir uns Science Cops nennen würden? Fast wie im Fernsehen!
Nein, ich behaupte nicht, dass die Studie von Ioannidis der Weisheit letzter Schluss ist. Aber wenn Ioannidis Fehler bei der Datenanalyse gemacht hat, was kommt dann heraus, wenn diese Fehler systematisch behoben werden? Und nach welcher Metrik sind andere Studien "deutlich besser" und eine Kritik von Volksverpetzer (auch das kein Wissenschaftler...) "sehr gut"? Wer gehört überhaupt zur "Wissenschaftscommunity"? Entscheidet das die Wissenschaftsjournalismuscommunity?
Die Zahlenwerte 0,23% und 1,15% deuten darauf hin, dass man diese Studie im Sinn hatte. Darin werden 165 von 175 Studien aussortiert und an die verbleibenden 10 ein parametrisches Modell kalibriert. Hat man Ioannidis nicht genau so etwas vorgeworfen? Und auch die Unterscheidung nach Alter hat Ioannidis vorweggenommen: "The infection fatality rate of COVID-19 can vary substantially across different locations and this may reflect differences in population age structure and casemix of infected and deceased patients and other factors." Wie passen die 165 verworfenen Studien und die 61 von Ioannidis berücksichtigten Studien (hier gibt es vermutlich Überschneidungen) in das vorgeschlagene Modell? Wenn sie nicht hineinpassen, woran liegt es?
Und nun noch ein paar Zahlen zum Nachdenken (meinetwegen nur für mich):
Eine Grippewelle wie Anfang 2018 mit geschätzt 25000 Todesopfern in Deutschland bei einer IFR von 0,2% würde 12,5 Mio. Infizierte bedeuten, und das innerhalb sehr kurzer Zeit.
Selbst eine Corona-IFR von 1,0% bedeutet bei aktuell gemeldeten 47000 Todesopfern in Deutschland 4,7 Mio. Infizierte - davon offiziell nur 2,0 Mio. bestätigt, also eine erhebliche Dunkelziffer, die mindestens einmal die Ausrichtung der Maßnahmen an der Inzidenz von Sinn befreit.
Um mal wieder Luxemburg (aufgrund der im Verhältnis zur Einwohnerzahl sehr hohen Testzahl) als Modell herzunehmen: die Anzahl positiver Tests liegt bei über 7,5% der Einwohnerzahl. Das wären für Deutschland über 6,2 Mio. Infizierte - und entsprechend eine Dunkelziffer größer als drei und eine IFR von etwa 0,75%.
"Werde ich nun meine schöne neue Kaffeemühle wiederbekommen?" fragte die Großmutter, als er endlich mit Schreiben fertig war und das Notizbuch zuklappte.
"Selbstverständlich", sagte der Wachtmeister.
"Und wie lange kann das dauern?"
"Tja - das ist schwer zu sagen. Wir müssen natürlich den Räuber Hotzenplotz erst mal fangen. Vorläufig kennen wir leider noch nicht einmal seinen Unterschlupf. Der Kerl ist ja so gerissen. Seit zweieinhalb Jahren führt er die Polizei an der Nase herum. Aber auch ihm wird man eines Tages das Handwerk legen! Dabei hoffen wir nicht zuletzt auf die rege Mithilfe der Bevölkerung."